Sonntag, 3. Januar 2016

72: Argentinien/Chile: Feuerland (14.-28.12.2015)


Wir haben es geschafft! Wir sind am südlichsten Punkt unserer Reise angekommen, in der Bahía Lapataia südwestlich von Ushuaia. Es ist der 17. Dezember 2015. Hier endet die Ruta 3, hier stehen wir am südlichsten Punkt der Welt, den man mit dem Auto erreichen kann! Ein Wahnsinnsgefühl! Ein emotionaler Moment! Obwohl wir uns beide einig sind: das Erreichen des nördlichsten Punktes, Prudhoe Bay in Alaska am Arktischen Meer, war noch bewegender. Denn dort oben ist man wirklich am Ende angekommen. Dort sieht man nichts mehr, nur das Eismeer. Hier unten gibt es immer wieder Inseln und Berge, bevor man die Antarktis erreicht.

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Die 17.848 Kilometer bis Alaska sind wohl die kürzest mögliche Strecke. Wir sind seit Alaska 51.000 Kilometer in 543 Tagen gefahren. Der Rekord liegt bei 11 Tagen und 17 Stunden, allerdings für die kürzeste Variante der Panamericana mit “nur” 22.750 Kilometern. Am Abend wird natürlich ausgiebig gefeiert, obwohl wir beide ein bisschen traurig sind. Das letzte große Ziel ist erreicht, ab jetzt geht es nur noch Richtung Heimat.

Der Großteil von Feuerland liegt auf argentinischer Seite. Und so haben wir ein paar Tage vorher, am 13. Dezember, mal wieder die Grenze nach Argentinien überschritten, zum Glück wie immer völlig reibungslos. Unseren Alibi-Honig, den wir immer brav angeben und ihn eigentlich loswerden wollen, bekommen wir wieder zurück. Und für die anderen Lebensmittel interessiert sich keiner.

Wie schon im chilenischen Teil Feuerlands stürmt es über das flache Land. So stellt man sich Feuerland vor.

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Selbst die Millionen von Schafen stecken ihre Köpfe zusammen, um sich gegen den unerbittlich tosenden Wind zu schützen.

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Wir sind entsetzt, denn dieser Sturm würde das Ende unseres Faltdaches bedeuten. Im Nachhinein stellen wir fest, dass wir bis auf die ersten beiden Tage richtig Glück hatten. Unsere beiden Wochen auf Feuerland waren relativ windstill.

Kaum haben wir die Grenze nach Argentinien überschritten, wird auf den Schlag die Straße gut. Statt unerträglichem Gehoppel über Stock und Stein plötzlich schönster Asphalt. Und auch die eintönige Landschaft wird schon bald durch Berge und Wälder abgelöst. Immer wieder blitzen türkisfarbene Seen hindurch, wie hier der Lago Fagnano nördlich von Ushuaia:

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Am 14. Dezember ist es dann so weit: wir erreichen Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt.

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Ushuaia ist ein bunter, netter Ort, der gerade heute, wo ein Kreuzfahrtschiff angelegt hat, von Touristen überquillt. Vom gegenüberliegenden Flughafen hat man eine gute Sicht auf Ushuaia mit seinem Hafen und die unmittelbar dahinter aufragende Bergkette. Beim Anblick der Schiffe und Weltumsegler kommt Thomas ins Träumen. Als alter und leidenschaftlicher Segler klappert er die verschiedenen Agenturen ab, die Segeltörns zum Cap Hoorn organisieren. Doch der Sturm ist genauso stark wie die Preise hoch sind, und er findet sich endlich damit ab, dass die Reise hier in Ushuaia endet und nicht am sturmgepeitschten Cap Hoorn.

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Wir machen einen Spaziergang durch die Hauptstraße, in der sich Andenkenladen an Outdoorladen an Schokoladenladen reiht. Und wir quetschen uns durch die einkaufswütige Menge der Kreuzfahrer.

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Besser als die Touristenläden gefallen uns die bunten Häuser wie hier die Antigua Casa Beban…

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… oder diese originelle Galerie im Wellblechdesign:

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Das Monumento Malvinas an der Uferpromenade direkt gegenüber dem Casino erinnert an den Falklandkrieg gegen England 1982 und seine damals gefallenen Soldaten.

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Wir alle haben diesen Krieg aus der Ferne mitbekommen, aber keinem war bewusst, wie viele Soldaten damals ums Leben gekommen sind. Wir sind ergriffen. Trotz der Trauer gefällt es uns hier, vor allem wegen des Gedenkfeuers, denn heute ist ein ungemütlich-kalter Tag und hier kann man sich schön die Hände wärmen:

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Von der Uferpromenade hat man auch einen schönen Blick auf die gegenüberliegende Insel Navarino mit ihren frisch verschneiten Bergen. Im Vordergrund die hier gestrandete Saint Christopher:

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Na ja, der wichtigste Punkt in Ushuaia ist natürlich das Fin del Mundo Schild. Wir reihen uns brav in die Schlange der wartenden japanischen Touristen ein, um dieses obligatorische Foto vom Ende der Welt zu machen:

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Von hier sind es auf der berühmten Ruta 3 3.094 Kilometer bis Buenos Aires, bis La Quiaca an der bolivianischen Grenze sogar 4.987 Kilometer. Unvorstellbar, diese Entfernungen, noch dazu alles auf einer einzigen Straße!

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Wir verbringen zwei Tage in Ushuaia, denn es gibt viel zu erledigen. Nach zwei Tagen machen wir uns auf den Weg in den Nationalpark Tierra del Fuego. Auf dem Weg dorthin besuchen wir noch die südlichste Eisenbahn der Welt, den Tren del Fin del Mundo, den Zug zum Ende der Welt. Gebaut wurde sie Anfang des 20. Jahrhunderts von Sträflingen.

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Als wir ankommen, ist die Dampfeisenbahn gerade zur Abfahrt bereit.

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Wir fahren die letzten Kilometer bis zum Nationalpark natürlich lieber mit dem eigenen Auto.

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Der Nationalpark Tierra del Fuego wurde 1960 direkt an der Grenze zu Chile gegründet. Die Landschaft hier ist einfach nur faszinierend. Man bezahlt 10 Euro Eintritt pro Person und darf dafür zwei Nächte auf einem der wunderschönen Campingplätze bleiben. Wir entscheiden uns für den Campingplatz an der Laguna Verde. Eine gute Entscheidung, denn hier treffen wir auf viele andere Overlander aus aller Welt, tauschen in endlosen Unterhaltungen Erfahrungen aus und knüpfen viele neue Freundschaften.

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Freundschaften nicht nur mit unseren Reisegenossen, sondern auch mit den Füchsen, die sich ungeniert und ohne jede Scheu jeden Abend um unser Auto schleichen. Hier sagen sich wirklich Fuchs und Hase gute Nacht!

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“Schau nicht um, der Fuchs geht um”! Zum Glück haben wir alle Lebensmittel sicher im Auto verstaut, aber so ein Abspülschwamm ist doch auch etwas Leckeres. Hat sich der Fuchs gedacht…

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Während der zwei Tage haben wir unglaubliches Glück mit dem Wetter. Kaum Wind, und immer wieder Sonne. Wir nutzen das Wetter, um alle Wanderungen im Park abzulaufen. Wie zum Beispiel den Hito XXIV Trail, eine 8 Kilometer lange Wanderung am Lago Roca entlang. Am Ende des Trails erreicht man die chilenische Grenze, die man sowohl am roten Grenzturm erkennt…

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… als auch am Hinweisschild, dass man die Grenze hier auf keinen Fall überschreiten darf.

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Sehr gut gefällt uns auch der Costera Trail, der 8 Kilometer direkt am Meer entlang an der Lapataia Bay führt. Bis hin zu dem berühmten Schild “Ende der Ruta 3”.

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Hier finden wir immer wieder diese pilzartigen Gewächse an den Bäumen. Sie sehen aus wie Pilze, Morcheln? Zwar sind wir leidenschaftliche Schwammerl-Esser, aber wir wollen schließlich unsere Reise noch fortsetzen und verzichten somit lieber auf ein Testessen.

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Nach zwei Tagen haben wir fast alle Wanderwege abgewandert und –geradelt, unsere zweitägige “Aufenthaltserlaubnis” am südlichsten Campingplatz der Welt ist auch abgelaufen. Kurz bevor wir den Park verlassen, kommen uns unsere kanadischen Freunde Daniel und Danielle entgegen. Da bleiben wir natürlich gerne nochmal zwei Tage! Zum Wandern bleibt allerdings nur noch der Cerro Guanaco mit seinen 1.000 Höhenmetern. Bis vor ein paar Tagen war er noch gesperrt, da es nochmal viel Neuschnee gegeben hat. Wir müssen allerdings nach 600 Höhenmetern aufgeben, der Schnee hat die Wege aufgeweicht, und wir bleiben im knöcheltiefen Schlamm stecken. Schade, der Blick von hier oben ist wirklich schön:

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Nach unseren letztendlich vier Tagen im Park machen wir noch einen kurzen Stopp in Ushuaia mit dem üblichen Pflichtprogramm “Duschen-Tanken-Einkaufen-Internet” und fahren weiter Richtung Südosten zur Estancia Harberton. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einer Schlittenhundefarm vorbei. Hier werden ca. 130 Hunde in einer perfekten Umgebung aufgezogen und trainiert.

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Weihnachten wollen wir mit unseren kanadischen Freunden auf der Estancia Harberton verbringen. Bereits die Fahrt dorthin am Beagle Kanal ist beeindruckend. Vom Wind gepeitschte Bäume…

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… und einsamste Strände, übersät mit Treibholz. Hier fühlen wir uns wirklich wie am Ende der Welt.

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Pünktlich zum Sommeranfang setzt Schneefall ein. Ja, wenigstens wir hier haben “weiße Weihnachten”! Viel ist es nicht, aber für einen kleinen Schneemann reicht es gerade:

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Wir sitzen bei Weihnachtsmusik im Auto und trinken Glühwein, der allerdings mangels der erforderlichen Gewürze eher wie heißer Sangria schmeckt. Weihnachtsstimmung trotzdem garantiert. Am nächsten Morgen ist allerdings der Zauber vorbei und wir können sogar im Freien frühstücken!

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Man sagt zu Recht, in Feuerland kann man alle vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben. Wie wahr!

Die Estancia Harberton ist die älteste Estancia Patagoniens und wurde 1886 von Thomas Bridges gegründet. Sie liegt malerisch direkt am Beagle Kanal.

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Die Führung durch die Anlagen und das Museum ist sehr interessant. Man bekommt Einblick in die Arbeit auf einer Estancia und kann interessante Fotos und Dokumente bewundern. Im Museum sind sämtliche Arten von Delphinen, Walen und anderen Meeresbewohnern ausgestellt und erklärt. Makabrer Höhepunkt ist der Besuch des “Knochenhauses”, wo die Tierkörper bis zur endgültigen Verwesung aufbewahrt werden.

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Durch die perfekten klimatischen Bedingungen und das Fehlen jeder Art von Insekten dauert der Verwesungsprozess bis zu 10 Jahren. Zur Reinigung der Knochenreste wird eine ganze Batterie von Zahnbürsten verwendet, deren Foto wir hier lieber nicht veröffentlichen. Bei uns hat es zwei Tage gedauert, bis wir uns nach diesem makabren Besuch wieder die Zähne putzen konnten. Und nach so viel “leckerem” Fischgeruch lassen wir uns bei ausgedehnten Wanderungen gerne wieder frischen Wind um die Nasen pfeifen, wofür es bei herrlichen einsamen Wanderungen genug Gelegenheiten gibt. Genau hinter der Insel im Hintergrund liegt übrigens die Antarktis – leider einige Kilometer entfernt. Genau gesagt, 3.900 Kilometer.

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Beeindruckend sind immer wieder die windgepeitschten Bäume:

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Uns gefällt es hier unten sehr sehr gut, am liebsten würden wir noch länger bleiben, aber nach vier Tagen sind unsere Wasservorräte erschöpft, und wir treten unsere Rückreise an, die uns ab diesem Punkt nur noch Richtung Norden führt.

Und an dieser Stelle das Preisrätsel für diese Woche: was befindet sich hier in unserem Wassersack?

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Nein, es ist kein Bierschlauch, auch keine Urinprobe. Es ist das Flusswasser, mit dem wir uns jeden Tag waschen, die Zähne putzen und das Geschirr abspülen. Immer noch besser als die grüne Variante, die mit den Algen, die doch viel Überwindung erfordert. Ja genau, deshalb wollen und müssen wir langsam wieder in die Zivilisation!

Nur ungern und mit etwas Wehmut treten wir unsere “Heimreise” nach Norden an. Auf der selben Strecke wie vor zwei Wochen durchfahren wir Feuerland, nun von Süden nach Norden. In Río Grande füllen wir unsere Vorräte auf, nur begrenzt zwar, da wir am selben Tag wieder nach Chile einreisen müssen. An der Tankstelle in Río Grande treffen wir zufällig Wayne aus Neuseeland mit seinem Motorrad. Wir haben uns vor neun Monaten in Panama kennen gelernt und waren zusammen auf der Fähre von Panama nach Kolumbien. Was für ein freudiges Wiedersehen! Wayne kommt gerade aus der Antarktis. Ein bisschen neidisch sind wir schon, aber die mindestens 10.000 Euro für den Besuch waren uns dann doch entschieden zu teuer.

Zum vierten Mal reisen wir am 27. Dezember in Chile ein, wie immer problemlos, und wie immer werden wir unseren Alibihonig nicht los. Die Landschaft wird immer einsamer, einzige Abwechslung sind verstreute Estancias, große Schaffarmen, die allerdings durchweg einen verlassenen Eindruck machen.

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Bevor wir gleich wieder Chile verlassen, freuen wir uns allerdings noch auf ein Highlight: den Parque Pingüino Rey in der Bahía Inútil, der “nutzlosen Bucht”.

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So nutzlos ist die Bucht gar nicht, denn hier hat sich eine Kolonie Königspinguine niedergelassen. Sie leben hier in natürlichem Lebensraum und sind die einzige Kolonie außerhalb der Antarktis. Trotz bitterkaltem Sturm sind wir total begeistert und können uns von diesen wunderschönen Tieren nicht trennen. Wirklich ein großartiges Erlebnis. Am besten lassen wir einfach die Bilder sprechen:

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Mit diesem Blick zurück auf die ca. 80 “Mann” große Kolonie verlassen wir Feuerland…

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… und am nächsten Tag gleich auch noch Chile. Heute, am 29. Dezember, reisen wir bereits zum vierten Mal nach Argentinien ein. Den Honig haben wir immer noch! Die Landschaft wird jetzt eintöniger werden, aber wir freuen uns auf die hoffentlich endlich wärmeren Temperaturen, die uns jeder Kilometer Richtung Norden bringen wird.

 

Unsere Strecke von Río Grande über Ushuaia zur Chile Grenze (1.021 km) – Gesamtkilometer bis jetzt: 86.074 km.

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Blog erstellt am 31.12.2015 in Puerto San Julián in Argentinien.

2 Kommentare:

Jogi R. hat gesagt…

Danke wieder für den schönen Bericht. :-)
Wünsche alles Gute fürs neue Jahr! Und auch alles Gute für die "Zielgerade" gen Norden, auf die es jetzt wohl geht ...
Jogi

Claudia hat gesagt…

Gratulation zum Erreichen des anderen Endes! Schöner Blog den ich immer gern gelesen habe. Wünsche Euch noch eine gute Rest Fahrt!

Claudia (der ihr bei Anchorage begegnet seid)