Am 10. August brechen wir unsere Zelte in Arequipa ab und machen uns auf den Weg zum Titicacasee. Gleich hinter Arequipa geht es steil hinauf, bis wir uns genau auf der anderen Seite der Vulkane befinden, die wir die ganze Woche schon von Arequipa aus bewundert haben: Chachani – Misti – Pichu Pichu.
Wer das Schild am Aussichtspunkt genau anschaut, der stellt fest, dass der “Aufsteller” wohl zu tief ins Pisco-Glas geschaut hat. Pichu Pichu und Chachani sind offensichtlich vertauscht, das Schild war wohl für Arequipa gedacht. Aber egal, der Blick ist gigantisch und nach den obligatorischen Fotos geht’s weiter, immer höher hinauf Richtung Titicacasee.
Schon bald sieht man links und rechts der Straße größere Herden von Vikunjas. Straßenschilder ermahnen uns immer wieder, vorsichtig zu fahren.
Vorsichtig fahren muss man aber auch wegen der Touristenbusse, die plötzlich und ohne Vorankündigung in die Eisen treten, wenn es eine Vikunja-Herde zu fotografieren gibt. Wir fühlen uns an Kanada und Alaska erinnert, wenn es wegen fotografierwütiger Touristen, die einen Bären oder einen Elch erspähen, zu regelrechten Verkehrsstaus kommt.
Aber auch wir genießen die friedlich grasenden Vikunjas, wie hier auf 4.500 m vor dem Hintergrund des Vulkans Misti:
Der wild lebende und kleinste Vertreter der Kamelfamilie kommt in Höhen bis zu 5.500 m vor und produziert die wohl feinste Wolle des gesamten Tierreichs. Kleidung aus Vikunjawolle zu tragen war ein Privileg des Inka-Adels.
Über mehrere Stunden bewegen wir uns auf Höhen um die 4.000 m und genießen eine herrliche Fahrt in absolut einsamer Landschaft. Umso schockierter sind wir, als wir uns der ersten größeren Stadt, Juliaca, nähern. “Es ist ein dreister, unfertiger Schandfleck in einer ansonsten wunderschönen, himmelweiten Landschaft”. So unser Reiseführer wörtlich. Und dies ist nicht übertrieben. Ganz im Gegenteil, wir sind uns einig, dass diese Stadt das Prädikat “hässlichste Stadt unserer Reise” verdient.
Schlagloch an Schlagloch, keinerlei Beschilderung. Mehrfach landen wir in Sackgassen oder auf lebhaften Märkten. Als wir schließlich nicht mehr weiter wissen, fragen wir eine motorisierte Polizeistreife nach dem Weg. Netterweise fahren uns die beiden auf ihrem Motorrad voraus. Dies geht eine Weile gut, aber auch die beiden sind irgendwann im Chaos verschwunden. Wir sind erleichtert, als wir endlich aus dem Gewühl herausfinden und nach einer weiteren Stunde am Titicacasee ankommen. Von Puno bietet sich ein wunderschöner Blick über den Nordteil des Sees:
Der Titicacasee liegt auf 3.808 m und ist der höchste beschiffbare See der Welt und über 15-mal größer als der Bodensee. Wenn auch sonst nicht viel aus dem Erdkundeunterricht hängen geblieben ist, an den Titicacasee erinnert sich jeder. Schon alleine wegen des lustigen Namens. “Titi” und “Caca” bedeutet übrigens “Puma” und “Hase”. Und dreht man die Landkarte mal um, dann sieht man tatsächlich, dass ein Teil des Sees aussieht wie ein Hase, der andere wie ein Puma.
Nach sechs Stunden Fahrt verschieben wir die Besichtigung von Puno und fahren zuerst zu unserem Hostal “Casa Blanca”, das 11 km von Puno entfernt liegt.
Hier gefällt es uns auf Anhieb sehr gut. Die Besitzer Gregoriana und Mario sind unglaublich nett, laden uns zum Frühstück ein und tun wirklich alles, damit wir uns wohl fühlen. Ja, das Wohlfühlen! Eigentlich dachten wir ja eher an Kopfschmerzen oder andere Höhensymptome hier auf über 3.800 m, aber Thomas befällt gleich nach unserer Ankunft eine Grippe, die ihn für drei Tage ans Bett, oder besser, in seine Dachkiste, fesselt. Hinzu kommt, dass auch noch das Wetter umschlägt, und die schönen Hügel um unser Hostal herum sind am nächsten Morgen weiß. Wintereinbruch! Drei Tage lang sitzen wir das schlechte Wetter aus, bei eisiger Kälte und Schneegraupeln, aber das Warten hat sich gelohnt. Nach drei Tagen ist der Spuk vorbei und alles ist überstanden. Thomas’ Grippe und das schlechte Wetter. Endlich können wir uns aufmachen, Puno und den Titicacasee zu erkunden.
Auch wenn Puno nicht zu den Highlights Perus gehört (eher dient es als Versorgungsstützpunkt) bietet es doch einige nette Plätze.
Vor allem die Hafenpromenade, von der aus man einen schönen Blick auf die Stadt hat sowie auf die Boote, die zu den vorgelagerten Inseln ablegen, gefällt uns sehr gut. Hier befindet sich auch der Kunsthandwerksmarkt, auf dem man natürlich vor allem warme Wollsachen zu günstigen Preisen erstehen kann.
Aber auch ein Bummel durch die Innenstadt mit ihrem schönen Zentralplatz und Kathedrale lohnt sich auf jeden Fall.
Hauptattraktion in Puno ist allerdings der Besuch der Islas Flotantes, der einzigartigen schwimmenden Schilfinseln der Urus. Von unserem Hostal müssen wir erst einmal die 11 Kilometer nach Puno überwinden. Unser Auto wollen wir nicht unbedingt mitnehmen, da es angeblich in Puno nicht ganz sicher stehen soll. Und hier bestätigt sich mal wieder: “Die Polizei, dein Freund und Helfer”. Ein Polizeiauto sieht uns am Straßenrand stehen und lädt uns spontan ein, mitzufahren. Auf der Fahrt nach Puno führen wir sehr nette Gespräche mit dem Polizeichef und werden auch noch direkt an unserem Ziel abgeladen. Eine sehr nette Erfahrung.
Da wir schon übelste Berichte über allzu touristische Ausflüge zu den Schilfinseln gehört haben, entscheiden wir uns für die Variante “nur mit dem Boot hinfahren, ohne Führung”.
Die 30-minütige Fahrt durch die kleinen Kanäle ist auch tatsächlich sehr schön und geruhsam.
Schon bald nähern wir uns den ersten Inseln, die gebaut werden, indem immer wieder neue Schichten des schwimmenden “Totora-Schilfs”, das an den seichten Stellen des Titicacasees wächst, aufeinandergelegt werden.
Wir legen auf der ersten Insel an und stellen fest, dass es ohne Führung wohl doch nicht geht. Wir bekommen viele Informationen über den Bau der Inseln, das Leben auf den Inseln etc.
Die einzelnen Inseln sind mit dem Untergrund verankert, so dass sie nicht abtreiben können. Zu manchen Gelegenheiten, z.B. großen Hochzeiten, führt man mehrere Inseln zusammen. Alles wird AUS Schilf und AUF Schilf erbaut, lediglich die Küche bekommt einen feuerfesten Unterbau. Sogar Restaurants und Schulen gibt es auf den Inseln und viele der Bewohner haben noch nie ihre Insel verlassen.
Ein komisches Gefühl, auf den Inseln zu laufen. Der Boden ist weich und federnd. Das Schilf wird regelmäßig von oben ergänzt, da es unten langsam verrottet.
Dies alles ist sehr interessant und einzigartig auf der Welt, aber leider sehr sehr touristisch. Die einheimischen Frauen in ihren mehrschichtigen bunten Kleidern leben in erster Linie von ihren kunsthandwerklichen Arbeiten, die sie unbedingt an den Mann, oder besser an Touristen, bringen wollen.
Wir sind die einzigen Nicht-Peruaner unserer Gruppe, und als wir uns als Deutsche outen, erreicht die Peinlichkeit ihren Höhepunkt: die einheimischen Frauen singen für uns lauthals “alle meine Entchen” und klatschen fröhlich in die Hände. Ich singe aus Höflichkeit tapfer mit, Thomas sucht verzweifelt das Loch, in das er sich verkriechen kann.
Fazit unseres Inselbesuchs: absolut sehenswert, aber auf schockierende Weise kommerzialisiert.
Viel besser gefällt uns dagegen der Besuch der Ruinen von Sillustani, ca. eine Fahrstunde von Puno entfernt. Schon die Fahrt dorthin führt durch einsame kleine Orte, fernab von jeglichem Tourismus.
Die Menschen hier sind sehr freundlich, man winkt uns fröhlich zu und lädt uns immer wieder auf einen kleinen Plausch ein.
Die Häuser sind mit kleinen Kühen aus Ton geschmückt. Man erklärt uns, dass dies Glück bringen würde…
Die geheimnisvollen Chullpas von Sillustani liegen wunderschön auf einer Halbinsel im Lago Umayo.
Chullpas sind Grabtürme, in denen vor allem wichtige Persönlichkeiten und deren Familienangehörige ihre letzte Ruhestätte fanden.
Die Chullpa des Lagarto ist mit einer Höhe von 12 m der größte Grabturm Südamerikas. Von vorne sieht er noch komplett aus, auf der Rückseite sieht man dagegen, dass er nach den vielen Jahrhunderten zerstört ist, sei es durch Grabräuber oder Witterungsbedingungen.
Obwohl es Samstag ist, sehen wir nur wenige Touristen, und wir können in Ruhe stundenlang über die landschaftlich wunderschöne Halbinsel wandern.
Uns hat der Besuch von Sillustani ausgesprochen gut gefallen, und glücklich und zufrieden treten wir die Heimfahrt an. Und jetzt – nach ein paar Kilometern – dann der große Schock: wir hatten uns ja noch Medikamente besorgt für den Fall, dass wir höhenkrank werden:
Aber wer jetzt tatsächlich höhenkrank wird, ist unser armer Bulli! Was wir schon immer befürchtet haben, tritt jetzt und hier ein: die Warnleuchte “Dieselpartikelfilter voll – sofort zur nächsten Werkstatt” blinkt auf. Wir waren wohl doch zu lange in Höhen über 2.500 m, und der schlechte Diesel in Peru hat wohl sein Übriges getan. Wir fahren zurück zu unserm Hostal und überlegen, wie wir nun weiter vorgehen sollen. Ersatzteil aus Deutschland bestellen und einbauen ist zu teuer und dauert wahrscheinlich viele Wochen. Die Innereien des Dieselfilters zu entfernen, ist die brutalste und nur eine letzte Notlösung. Also bleibt nur eine Routenumplanung. Unsere geplante Tour nach Bolivien scheidet aus, das wären noch mehrere Tausend Kilometer in ca. 4.000 m. Die nächste Werkstatt, die wir sofort aufsuchen sollen, liegt 300 km entfernt in Arequipa, 250 davon auf knapp 4.000 m, und dazwischen ein Pass von 4.500 m. Ob wir das schaffen? Mario, der Besitzer unsere Hostals, kümmert sich rührend um uns und versucht, mit allen Mitteln zu helfen.
Am 18. August machen wir uns also auf den Rückweg nach Arequipa und “freuen” uns besonders, dass wir nochmal durch unserer “geliebtes” Juliaca müssen. Bolivien fällt also aus, Cusco mit Machu Picchu auch, alles viel zu hoch… Als wir nach sechs Stunden Fahrt endlich wieder in Arequipa ankommen, erlischt die Warnlampe genau auf 2.500 m, der Bulli kann endlich wieder durchatmen. Auf unserem “alten” Campground Las Mercedes treffen wir zu unserer Freude wieder die netten Franzosen Alain und Sylviane. Auch sie mussten ihre Reise in die Berge abbrechen, da ihr VW-Bus auch Probleme hatte. Geteiltes Leid…
Gleich am nächsten Morgen bringen wir unser Auto in die VW-Werkstatt und man prüft den Bulli auf Herz und Nieren. Der Scan-Bericht ergibt (auch nach Rücksprache mit Lima), dass im Moment alles wieder in Ordnung sei, solange wir nicht zu lange zu hoch hinauf fahren. Wir fahren also weiter ans Meer, wo wir in Tacna die Grenze nach Chile überschreiten wollen. Unterwegs finden wir noch ein paar schöne einsame Übernachtungsplätze: Am Meer hoch über den Klippen…
… oder in einsamen Bergtälern…
Die letzte größere Stadt vor der chilenischen Grenze ist Tacna mit ihrer schönen Kathedrale…
… und dem Brunnen von Gustave Eiffel, der wohl in ganz Lateinamerika seine Spuren hinterlassen hat:
Es ist Sonntag, und die ganze Stadt ist geschmückt und feiert. Wir fragen fünf verschiedene Personen, was denn gefeiert wird, und bekommen fünf verschiedene Antworten: “98-Jahrfeier der Stadt”. “86-Jahrfeier der Stadt”. “28-Jahrfeier der Stadt”. Zwei zucken einfach nur mit den Schultern. Ist auch egal – Hauptsache, es wird gefeiert, schön laut und schön bunt.
Mit diesen bunten und fröhlichen Bildern verlassen wir am 23. August nach knapp zwei Monaten Peru. Die chilenische Grenze liegt nur 30 Kilometer entfernt.
Und diese bunten und fröhlichen Bilder stehen stellvertretend für den Eindruck, den wir von Peru mitnehmen: ein wunderschönes Land mit atemberaubenden Landschaften und beeindruckender Inka-Kultur. Und vor allem mit wunderbaren und gastfreundlichen Menschen. Erzählungen von korrupten Polizisten, gefährlichen Städten oder schlechter Versorgungslage müssen wir vehement dementieren. Die Campingplätze waren schön und komfortabel, zum großen Teil haben wir auch “wild” gecampt und uns zu keiner Zeit unsicher gefühlt. Wir haben nur gute Erinnerungen und sind begeistert von diesem Land. Selbst der Grenzübergang ist absolut unkompliziert, und schon kurze Zeit später sind wir in Chile, auf das wir jetzt sehr gespannt sind.
Unsere Strecke von Arequipa über den Titicacasee zur chilenischen Grenze bei Tacna (1.239 km) – Gesamtkilometer bis jetzt: 73.505 km.
Blog erstellt am 26.08.2015, auf dem Altiplano im Lauca Nationalpark, Chile.