Freitag, 9. Oktober 2015

65: Chile: Taltal nach Los Vilos (20.09.-07.10.2015)


Viel hat sich seit dem letzten Blog nicht ereignet, die letzten beiden Wochen stehen unter dem Zeichen: Natur, Wandern, Lesen, Genießen. Wir haben etwas das Tempo rausgenommen, denn für den Süden ist es noch ein bisschen zu früh. Zwar hat gerade der Frühling angefangen, aber im Süden ist es noch ziemlich kalt, und auf den Bergen liegt noch jede Menge Schnee. Wir leben einfach nur in den Tag hinein und freuen uns an der schönen Frühjahrsstimmung. Vor allem wartet etwas ganz Besonderes auf uns:

Die Wüste blüht!!

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Dass die sonst nur graubraune Wüste in allen Farben schimmert, haben wir den starken Regenfällen im März zu verdanken. Dieses Phänomen gibt es nur alle 3-10 Jahre! Die Atacama-Wüste südlich von Copiapó, die “desierto florido” ist unglaublich schön und tut nach den langen Wochen in der Wüste den Augen gut. Soweit das Auge reicht, sieht man diese wunderschönen lila Blumen (“Tomatillos”):

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Gerade im Vorbeifahren kann man einen durchgehenden lila Teppich bestaunen:

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Und selbst die Berge schimmern in allen möglichen Farbtönen:

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“So viel Regen hatten wir hier noch nie ”! Wer uns kennt, weiß, dass uns ein gewisser Ruf vorauseilt. Wo wir sind, regnet es. Bei einem Reiseveranstalter stehen wir deshalb schon auf der schwarzen Liste! Den berühmten Satz “So viel Regen hatten wir noch nie” kennen wir mittlerweile in allen Sprachen der Welt. Wir brachten selbst den trockensten Ländern wie Ägypten, Marokko, Dubai und Äthiopien Dauerregen und Überschwemmungen, wieso also nicht auch Chile? Uns freut’s, denn die Vielfalt der bunten Blumen, die mitten aus dem trockenen Sand sprießen, ist wirklich ein Wunder.

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Doch auch die traurige Kehrseite der Medaille mussten wir miterleben. Ganze Küstenorte wie z.B. Chanaral wurden durch die schweren Regenfälle verwüstet, und der Großteil der Häuser steht leer, unbewohnbar, mit einer dicken Schlammschicht bis zu einem Meter überzogen. Wir halten uns deshalb nicht lange an der neblig-trüben und traurigen Küste auf und steuern schnell wieder dem Landesinneren zu, wo wir diese herrliche Blütenpracht erleben dürfen.

Copiapó ist kein besonders schöner Ort, aber die Menschen dort sind extrem gastfreundlich und hilfsbereit. Angefangen bei der Dame in der Stadtbibliothek, die wir fragen, wo es denn eine Wäscherei gibt. Für sie ist es ganz klar, dass sie selbst unsere Wäsche mit nach Hause nehmen und dort für uns waschen will. Oder bei der Tankstelle, wo wir uns duschen. Man zeigt uns nicht nur, wo wir unsere Wasservorräte auffüllen können, man will sie gleich für uns auffüllen. Die Liebenswürdigkeit der Menschen hier ist wirklich auffallend.

Internationale Bekanntheit bekam Copiapó allerdings im Sommer 2010, als die ganze Welt auf Copiapó und die nahegelegene Kupfermine San José schaute, wo 33 Bergarbeiter 70 Tage lang verschüttet waren.

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An diese Bilder, die tagtäglich durch die Medien gingen, kann sich jeder noch gut erinnern.

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Im Museo Regional de Atacama erinnert eine Ausstellung an die spektakuläre Rettungsaktion der 33 Bergleute. Man kann hier die originale Rettungskapsel “Phönix 2” besichtigen…

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… sowie den berühmten Zettel, der nach 17 zermürbenden Tagen an einem Bohrkopf die erlösende Nachricht brachte: “Uns 33 geht es gut im Schutzraum”:

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Es war damals wie ein Wunder, dass nach langen 70 Tagen alle 33 Bergleute unverletzt gerettet werden konnten.

Südlich von Copiapó machen wir uns wieder auf zum Meer. Und diesmal haben wir Glück. Kennen wir das Meer bis jetzt nur mit dickem Küstennebel, meint es der chilenische Wettergott endlich mal gut mit uns und zeigt uns, wie schön blau der Himmel und das Meer auch in Chile sein können.

Asphaltierte Straßen gibt es hier neben der Panamericana nicht. Aber auf gut befahrbaren Salzpisten kommen wir gut voran und erreichen schon bald das Meer hinter weißen Sanddünen.

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Voller Begeisterung halten wir immer wieder an und stapfen am Meer entlang durch den weißen Sand.

Ein Eldorado für Muschelsucher:

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Wir finden einen schönen Übernachtungsplatz hoch über dem Meer und finden wieder eine neue ungewöhnliche Form von Vegetation vor: diese “Kugelkakteen” sehen von weitem aus wie fein säuberlich aufgestapelte Kanonenkugeln:

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Man muss wirklich gut aufpassen, wenn man nachts mal vor die Tür muss!

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Da wir seit dem schweren Erdbeben vom 16. September (Stärke 8,3) fast jeden Tag ein mittelschweres Erdbeben miterleben, achten wir sehr genau auf unsere Stellplätze – möglichst nicht zu dicht am Wasser. Aber von hier oben hat man ohnehin den schönsten Blick, besonders bei Sonnenuntergang.

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Die Tage nutzen wir für kilometerlange Wanderungen am herrlich blauen Pazifik.

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An diesem Tag setzt bereits am Nachmittag ein schwerer Sturm ein, der sich bis tief in die Nacht hinein fortsetzt. Das Zähneputzen und Abspülen am Abend ist fast unmöglich. Das Wasser schießt quer aus dem Kanister. Wir kennen das Buch “How to shit in the woods”. Gibt es nicht auch einen Band 2 “How to pee in the storm?” – Pflichtlektüre für Südamerika-Reisende!

Nördlich von La Serena steuern wir die Reserva Natural Pingüino de Humboldt” an. Vor dem kleinen Fischerort Punta de Choros stehen drei Inseln unter Naturschutz. Dort leben Seelöwen, Pelikane und Humboldt-Pinguine. Als wir Punta de Choros erreichen, sehen wir schon von Weitem, dass das Meer durch den Sturm der letzten Nacht noch sehr aufgewühlt ist.

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Unsere Befürchtungen bestätigen sich: bei diesem Wellengang traut sich kein Boot auf’s Wasser. Die schönen bunten Fischerboote liegen untätig am Strand und man schaut uns entsetzt an, als wir fragen, ob wir nicht zu den Inseln fahren können.

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So bleibt denn auch dies der einzige Pinguin, den wir an diesem Tag sehen:

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Trotzdem hat sich der Ausflug hierher gelohnt, denn noch immer ist der Himmel blau und wir können auf den Klippen über dem Meer entlangwandern.

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“Jetzt reicht’s aber wieder mit dem schönen Wetter” denkt sich der Wettergott und schickt uns für die Nacht und den nächsten Morgen mal wieder unseren geliebten Küstennebel…

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La Serena ist endlich mal wieder eine wunderschöne Stadt mit schönen Gebäuden, Plätzen und Brunnen.

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Wir schlendern durch die gepflegten Straßen und Gassen und genießen das Leben. Es tut gut, nach so vielen Wochen in der einsamen Wüste…

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Besonders freuen wir uns, als wir diese zwei genialen Burschen wieder treffen, die wir schon aus anderen Städten im Norden kennen:

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Sie trommeln und tanzen und wirbeln durch die Gegend, eine wahre Freude. Scheinbar haben sie das gleiche Reisetempo wie wir, und wir hoffen, sie bald mal wieder zu treffen.

Entsetzt sind wir, als wir am nächsten Tag die berühmten schönen Strände von La Serena besuchen wollen. Der Tsunami am 16.9. hat hier eine Spur der Verwüstung hinterlassen, und viele Gebäude sind von der Flutwelle total zerstört worden. Ein trauriger Anblick.

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Obwohl es in La Serena viele nette Hostels gibt, entscheiden wir uns nochmal für einen Platz in der Wildnis über dem Meer, nur ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Wir wollen schließlich unsere “wir-campen-wild-und-ohne-Campingplatz”-Serie nicht schon nach einem Monat unterbrechen. Der Platz ist schön, aber – wie soll es anders sein – ab dem Nachmittag bekommen wir regelmäßig Besuch von unserem treuen Freund, dem Küstennebel:

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Wer nach La Serena kommt, muss natürlich unbedingt einen Abstecher zum Valle de Elqui machen. Unser erster Stopp ist der nette kleine Ort Vicuna mit seinen schönen bunten Gebäuden.

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Von hier aus führt uns eine Straße in die Berge, wo wir für drei Tage unser Quartier aufschlagen. Die Fahrt dorthin ist kurz, aber spektakulär. Zuerst lachen wir noch über das Verkehrszeichen, das – wie wir denken – falsch angebracht ist.

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Aber die Straße ist tatsächlich so steil, dass wir das Gefühl haben, wir liegen in unseren Sitzen. Und wir wundern uns, wie das der Bulli überhaupt geschafft hat.

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Die Anstrengung hat sich gelohnt, wir werden mit einem wunderschönen Stellplatz für die nächsten drei Tage belohnt:

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Von hier aus machen wir eine herrliche Hochzeitstags-Bergtour in von Kakteen und bunten Blumen übersäter Landschaft.

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Das Hauptziel im Valle de Elqui ist allerdings der kleine nette Ort Pisco Elqui, nur eine Fahrstunde entfernt von Vicuna. Während der Fahrt sieht man unzählige grüne Weinfelder…

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… und Obstgärten an allen möglichen und unmöglichen Stellen:

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Hier wachsen Orangen und Papaya und Wein, wo immer nur etwas wachsen kann. Die Weinfelder werden oft auch mit Windschutzzäunen ausgestattet:

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Ein sehr schöner Anblick, die grünen Obst- und Weinfelder, und im Hintergrund die leuchtend weißen Schneeberge:

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Pisco Elqui besteht aus Hotels, Restaurants, einer Pisco-Brennerei und unzähligen Yoga-, Pilates-, Shiatsu-, Thai-, Fußreflex- und sonstigem esoterischem Kram. Wir sind zum Glück an einem Freitag hier, denn am Wochenende zertreten sich dort die Esoterikfans. Wir haben den Ort für uns alleine und können in Ruhe einen Stadtbummel vor der Kulisse der schönen Kirche und der nahen Schneeberge machen:

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Von Vicuna geht unsere Fahrt langsam weiter Richtung Süden durch endlose Wein- und Obstanbaugebiete, wo wir immer wieder mal rechts und links der Strecke einsame Plätze zum Übernachten finden. Und viele Gelegenheiten für schöne Wanderungen durch die bald schon vorherrschende Kakteenwüste.

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Kakteen wechseln sich mit bunten Blumen ab. Ein schöner Anblick.

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Aber zu spaßen ist mit diesen stachligen Burschen nicht. Die Stacheln sind bis zu 20 cm lang und hart und spitz wie Nadeln:

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Ganz besonders gemeine Fieslinge dieser Stacheln liegen auf dem Boden, gut getarnt, und warten nur auf eine Wanderschuh-Sohle, in die sie sich hinterlistig hineinbohren. Natürlich nicht nur in die Sohle, sondern auch in den Fuß… Autsch, tut das weh!! Unsere Pinzette ist im Dauereinsatz!

Seit vielen Tagen sehen wir immer wieder Observatorien, von denen es in dieser Gegend sehr viele gibt. Der Sternenhimmel ist hier so schön wie wohl nirgendwo auf der Welt, und einen besseren Ort zum Sternegucken gibt es bestimmt nicht. Leider muss man sich für einen Besuch dieser Observatorien bis zu einem Monat im Voraus anmelden, was bei unserer manchmal etwas chaotischen oder eher nicht existierenden Reiseplanung natürlich nicht in Frage kommt. Endlich finden wir ein schönes Observatorium, das man auch als Spontan-Sternengucker besichtigen kann: das erst seit 2009 existierende Observatorium Cruz del Sur in Combarbalá.

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Die vier Kuppeln sind wie das Kreuz des Südens angeordnet, daher der Name. Leider haben wir Pech: das Wetter ist bedeckt, und auch für den Abend ist keine Besserung in Sicht. Nix mit Sternegucken heute! Aber der nette Manuel führt uns trotzdem durch die Anlage und erklärt uns alles ganz genau.

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Unsere kleine Privat-Führung ist sehr interessant, aber wir sind schockiert von den vielen Schäden, die das starke Erdbeben vom 16.9. hinterlassen hat: drei der vier Kuppeln mit den 16-Zoll-Teleskopen sind beschädigt und können zur Zeit nicht besichtigt werden. Viele der Gebäude haben tiefe Risse, die Bodenplatten sind verschoben und können nicht betreten werden. Die Schäden gehen ins Unermessliche… Für uns vergeht auch kaum eine Nacht, in der wir nicht durch ein Erdbeben und unser schaukelndes Auto geweckt werden. Schon unheimlich!

Manuel erklärt uns auch, dass dieses Jahr das Wetter verrückt spielt und es nur wenige sternklare Nächte gibt. El Nino ist schuld! Da wundert es uns nicht, dass wir mal unter extremer Hitze leiden und am nächsten Tag wieder sämtliche Winterklamotten anziehen müssen. Aber zumindest sind wir nicht mehr so hoch und konnten jetzt nach 10 Monaten zum ersten Mal wieder unsere Heizung verwenden.

Wir sehen also keine Sterne, aber erfreuen uns trotzdem an dem Anblick der verschneiten Hochandenkette:

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In Illapel, nur 60 Kilometer vom Epizentrum des schweren Erdbebens entfernt, sehen wir wieder viele eingestürzte Häuser und gesperrte Straßen. Wir halten uns nicht lange auf und suchen uns etwas außerhalb einen Platz für die Nacht. Durch die vielen Obstgärten und Privatgrundstücke wird die Suche jetzt immer schwieriger. Heute Nacht muss ein Fußballplatz herhalten. Mutterseelenallein stehen wir auf dem großen Feld – so einen riesigen Campingplatz für uns alleine hatten wir noch nie!

Bei Los Vilos treffen wir wieder auf die Panamericana und den Pazifik, wo wir uns über den blauen Himmel freuen, uns der bitterkalte Südwind allerdings jede Freude am Strandspaziergang vermasselt. Von hier aus wollen wir weiter nach Valparaíso und das nächste Wochenende (ein langes, denn am Montag, 12.10., ist Feiertag) uns in die Hauptstadt Santiago de Chile wagen.

 

Unsere Strecke von Taltal nach Los Vilos (1.633 km) – Gesamtkilometer bis jetzt: 78.126 km.

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Blog erstellt am 07.10.2015 in Pichidangui, Chile.