Am 23. August 2015 reisen wir nach Chile ein.
All die Horrorgeschichten über das Einreiseprozedere bleiben uns zum Glück erspart. Man darf ja eigentlich gar nichts einführen – kein Obst, Gemüse, Fleisch, aber auch keine Holzprodukte, wie zum Beispiel einen Korkenzieher. Denn im Holz könnten sich ja böse kleine peruanische Tierchen verstecken, die nur darauf warten, in Chile ihr Unwesen zu treiben. Aber wie gesagt, wir haben Glück. Vielleicht liegt es auch daran, dass heute Sonntag ist und die Schnüffelhunde, die sich oft bis in den Kühlschrank hineinschnüffeln, ihren freien Tag haben. Auf die Frage, ob wir “etwas Unerlaubtes” mit uns führen, gestehen wir “ja, Honig und Leinsamen”. Den nimmt man uns ab, und schon dürfen wir in’s neue Land einreisen.
Das erste Straßenschild lässt uns zunächst einmal schlucken: 2.091 Kilometer bis zur Hauptstadt, und das ist noch nicht mal die Hälfte dieses unglaublich “langen” wenn auch schmalen Landes. Aber wir wollen ja auch erst an Weihnachten am Südende sein.
Obwohl wir uns in den letzten Tagen so sehr an’s “Wildcampen” gewöhnt hatten, steuern wir in Arica einen Campingplatz an. Eine Dusche ist nötig, und es gibt auch einiges zu organisieren. Wir verbringen unseren ersten Tag in Chile also mit Dingen wie eine Autoversicherung abzuschließen, den ersten guten Diesel zu tanken, dem Bankautomaten chilenische Pesos zu entlocken und uns im herrlichen Supermarkt über das Angebot zu freuen, das uns vorkommt wie im Schlaraffenland. Schon jetzt haben wir das Gefühl, das Abenteuer der letzten Monate ist vorbei, hier fühlen wir uns wie in Europa. Gewöhnungsbedürftig sind allerdings die zwei Stunden, um die wir unsere Uhr auf einen Schlag vorstellen müssen (wir sind jetzt nur noch fünf Stunden hinter Deutschland) und der neue Wechselkurs. Einer von denen, wo sich alles in Tausenden und Abertausenden abspielt. Ungewohnt ist auch das wieder ganz andere Spanisch, das man hier spricht. Da muss man sich erst einmal reinhören…
Arica ist ein netter Küstenort, aber um diese Jahreszeit herrscht hier die meiste Zeit des Tages dicker Küstennebel, dem wir gleich am nächsten Tag entfliehen. Uns zieht es hoch hinauf, zum Altiplano. Kaum haben wir auf ca. 500 m die Nebelgrenze erreicht, zieht sich die Straße bei blauestem Himmel immer stetig durch die karge Wüstenlandschaft empor.
Hier gibt es keine Vegetation – fast keine. Einzig die Kandelaberkakteen trotzen der unwirtlichen Gegend. Sie beziehen ihr Wasser aus dem Nebel und blühen nur einmal im Jahr, dann aber nur für 24 Stunden.
Unser Ziel, der Lauca Nationalpark, liegt auf 4.500 m. Da wir die letzte Woche ausschließlich auf Meeresniveau verbracht haben, wollen wir nicht gleich in einem Rutsch den Höhenunterschied bewältigen und verbringen die Nacht auf halber Höhe, ganz in der Nähe der kleinen Stadt Putre. Natürlich “wild”, in der Steinwüste.
Am nächsten Morgen erklimmen wir die nächsten 2000 m und erreichen schon bald den Altiplano mit einem herrlichen Blick auf die beiden Zwillingsvulkane Pomerape (6.240 m) und Parinacota (6.350 m).
Hier oben nähern wir uns immer mehr der bolivianischen Grenze, die nur noch einige Kilometer entfernt ist. Unser Ziel aber ist der Lago Chungará, mit einer Höhe von 4.500 m einer der weltweit am höchsten gelegenen Seen. Der tiefblaue See mit dem perfekt kegelförmigen Vulkan als Kulisse ist nicht nur wegen der Höhe einfach atemberaubend!
Wir können uns gar nicht satt sehen an diesem Postkartenmotiv, auf dem sich außer uns nur Flamingos und Lamas tummeln.
Begeistert sind wir auch von unserem Auto, das ohne zu murren oder zu qualmen die Höhe einwandfrei schafft. Die Höhenprobleme in Ecuador und Peru sind wohl doch zum großen Teil dem schlechten Diesel in diesen Ländern geschuldet!
Hier oben gibt es sogar ein Visitor Center mit einem chilenischen “Alpenvereinsvorstand”, der uns schnell unser Vorhaben ausredet, hier oben zu übernachten. Tagsüber sind die Temperaturen zwar erträglich, nachts klettern sie jedoch auf -15°C bis -20°C. Und ohne Heizung ist das doch unangenehm kalt. Außerdem erklärt er uns eindringlich, wie erbarmungslos die UV-Strahlung hier oben ist, wie auch dieses Schild verdeutlicht:
Vor lauter Begeisterung bemerken wir erst jetzt die schier endlose Kolonne der LKWs, die sich von hier bis zur Grenze stauen. 10 Kilometer stehender Verkehr. Die Armen, die die Nacht hier oben an der chilenisch-bolivianischen Grenze verbringen müssen!
Wir genießen noch einen letzten Blick auf den wunderschönen See und machen uns langsam wieder an die Abfahrt.
Unterwegs halten wir immer wieder an, um die abwechslungsreiche Flora und Fauna zu genießen. Auf Felsen und Steinen sieht man immer wieder die grün leuchtenden Llareta-Pflanzen, die nur in einer Höhe ab 4.000 m wachsen. Sie sehen wie ein weiches Polster aus, weisen aber eine raue Oberfläche auf.
Und natürlich gibt es hier oben jede Menge Lama- und Alpacaherden, die hier als Nutztiere gehalten werden,…
… sowie ihre wilden Verwandten, die Vicunjas.
Schweren Herzens verlassen wir diese gigantische Berglandschaft und übernachten noch einmal auf unserem Platz, um am nächsten Tag nochmal in Arica einen Zwischenstopp einzulegen. Wieder fahren wir durch das Valle de Lluta und bestaunen einmal mehr die großen Petroglyphen links und rechts der Straße.
Aber es sind nicht nur die Kunstwerke aus alten Zeiten, die uns gefallen, hier an der Panamericana südlich von Arica hat sich ein moderner Künstler ausgetobt, und diese Statuen gefallen uns richtig gut:
Nach unserem kurzen Zwischenstopp in Arica machen wir uns auf den Weg nach Süden. Die Panamericana führt durch die endlos weite Atacamawüste ohne jede Vegetation. Nur ab und zu fällt die Straße hinab zu grünen Flussoasen wie hier zur Quebrada de Vitor:
Da es uns noch gar nicht nach Süden zieht, nehmen wir die nächstmögliche Abzweigung Richtung Berge, zum Valle de Codpa. Auf dem Weg in das kleine Bergdorf Codpa kommt man plötzlich an einem riesengroßen Feld voller geheimnisvoller Steinpyramiden vorbei:
Diese “Apachetas” sind die chilenische Antwort auf unsere bayrischen “Stoamandl” und dienten wohl den Hochland-Indianern als Wegweiser und auch als eine Art Altar für die Mutter Erde, die “Pachamama”. Jede Apacheta steht für ein Dankeschön bzw. eine Bitte an die Mutter Erde. Jeder der vorbeikommt, legt einen Stein auf eine der Pyramiden…
…oder baut seine eigene Apacheta, wie diese hier. Für uns die eindeutig schönste von allen. Erbaut vom Stararchitekten Thomas E.:
Kurz vor Codpa sehen wir noch eine andere lustige Steinformation. Ein fröhlicher bunter Lichtblick in der sonst so kargen Landschaft:
Der Miniort Codpa mit nur 160 Einwohnern liegt in einem tief eingeschnittenen Canyon. Es gibt nicht viel hier, nur eine alte Lehmziegelkirche aus dem 17. Jahrhundert:
Und enge kleine Gassen mit kleinen weiß gekalkten Häusern. Eine so schöne friedliche Stimmung:
Ganz in der Nähe von Codpa suchen wir uns einen Platz für die Nacht und finden in der Wüste wieder ein wunderschönes Fleckchen. Von hier erleben wir mal wieder einen herrlichen Sonnenuntergang.
Heute ist Vollmond, und während die Sonne langsam im Küstennebel verschwindet, ist der Mond bereits aufgegangen.
Der Sternenhimmel in der chilenischen Wüste toppt übrigens alles, was man bisher an Sternenhimmel gesehen hat. Kein Wunder, dass sich hier in Chile die größten und bedeutendsten Sternwarten der Welt befinden. Man sieht Sterne, es ist einfach unglaublich, und die Milchstraße, so wie man sie noch nie gesehen hat.
Von Codpa aus fahren wir immer weiter hinauf in die Berge. Die Straße ist anfangs trotz Schotterpiste noch recht gut.
Aber je weiter wir hinauf kommen, desto abenteuerlicher wird die Fahrt.
Wieder zurück auf der Panamericana machen wir einen kurzen Abstecher zu den Geoglyphen (Scharrbildern) des Cerro Unita. Hier befindet sich der Gigante de Atacama:
Mit einer Länge von 86 Metern ist der “Riese der Atacama-Wüste” die angeblich weltweit größte menschliche Figur, die Archäologen jemals gefunden haben. Die Figur soll einen indianischen Herrscher oder eine Gottheit darstellen, sie trägt eine Maske und vier nach oben aufragende Federn als Kopfschmuck.
Archäologen schätzen das Alter des Gigante de Atacama auf 1.100 Jahre!
Gleich auf der Rückseite des Cerro Unita verbringen wir die Nacht in einer Sanddüne und genießen unser Frühstück im Freien:
Der nahegelegene Ort Pozo Almonte eignet sich bestens, um kleine Einkäufe zu erledigen, einen mal wieder fälligen Schneider aufzusuchen und E-Mails zu checken. Der Ort ist ein staubiger heißer Wüstenort, so heiß, dass alle Gehwege mit einem schattenspendenden Holzdach ausgestattet sind!
Von Pozo Almonte zweigt die Straße wieder in die Berge ab, zu unserem nächsten Ziel, dem Nationalpark Salar del Huasco. Wieder geht es auf über 4.000 m hinauf, bis wir auf über 3.700 m den Salar del Huasco erreichen. Er ist einer der schönsten Salzseen Nordchiles.
Dieser Salzsee ist eine riesengroße, von Bergen umrundete Salzlagune.
Schon von weitem sieht man Tausende von Flamingos. Hier leben drei Flamingoarten und zahlreiche andere Wasservögel.
Obwohl man von diesen Ausblicken einfach nicht genug bekommen kann, entscheiden wir uns diesmal gleich, die Nacht nicht hier oben zu verbringen. Nahe an 4.000 m ist es uns einfach zu kalt. Außerdem setzt pünktlich um 14.00 h – so wie jeden Tag übrigens – der Wüstensturm ein. Hier in Form eines kleinen Tornados:
Von Ferne ganz interessant anzuschauen, aber wenn eine solche Windhose GENAU auf unser offenes Auto zusteuert (wie vor zwei Tagen) und ihren gesamten Sand IN unserem Auto ablegt, dann ist das nicht mehr lustig! Der gesamte Innenraum war unter einer dicken Sandschicht begraben! Als wir übrigens unterhalb des Salzsees die Nacht in der Wüste verbringen, erleben wir unser erstes schweres Erdbeben. Der Boden hörte nicht mehr auf zu wackeln, und das Auto schaukelte wie ein Boot auf hoher See. Gut, dass wir in der Wüste waren, aber unheimlich war das Spektakel schon!
Nach so viel Natur der letzten Tage freuen wir uns auf ein bisschen Kultur. Wir besuchen die ehemalige Salpeterstadt Humberstone.
Diese Salpeter-Abbaustelle war fast 100 Jahre in Betrieb. Rund um die Industrieanlagen entstand eine richtige Kleinstadt mit Wohnungen und Freizeitanlagen für die Arbeiter.
Die aus Wellblech erstellen Gebäude der Industrieanlagen sind inzwischen total verrostet und ähneln einer verlassenen Geisterstadt.
Eine ganz unheimliche (Endzeit-)Stimmung!
Die Wohnhäuser sind teilweise wieder renoviert worden und werden als Ausstellungsräume für Gegenstände des täglichen Gebrauchs verwendet, wie zum Beispiel Küchengeräte…
Die Schreibstube (hier Miss Marple bei der Arbeit)…
Und hier die Schule (“Herr Lehrer, ich weiß was!”):
Wir verlassen Humberstone schweigsam, irgendwie bedrückt. Obwohl es kein Straflager ist, sondern eine kleine Stadt, in der Salpeter abgebaut wurde, stimmt uns diese trostlose, rostige und unheimliche Verlassenheit irgendwie traurig. Umso mehr freuen wir uns, als wir nur wenige Kilometer weiter wieder einen schönen Platz für die Nacht finden – garantiert rostfrei.
Von hier sind es nur noch 20 Kilometer bis Iquique, einer der wichtigsten Hafenstädte im Norden von Chile.
Iquique, angeblich eine der schönsten Städte Chiles, erstreckt sich auf einem schmalen Uferstreifen zwischen dem Pazifik und einer direkt hinter der Stadt über 600 Meter Höhe aufragenden Kordillerenwand.
Endlich können wir mal wieder nach Herzenslust Radfahren, auf schön angelegten Radwegen an der Uferpromenade und in der Altstadt:
Per Rad erkunden wir die Innenstadt mit der schönen Plaza Prat und ihrem berühmten Uhrturm, dem 1877 aufgestellten Wahrzeichen der Stadt.
Alle Gebäude – wie hier das Stadttheater – sind bereits in den Nationalfarben für den bevorstehenden Nationalfeiertag (18./19. September) geschmückt:
Eines der schönsten Gebäude am Hauptplatz ist das blau gekachelte Casino Espanol, in dessen prunkvollem Inneren sich alles um Don Quijote dreht:
Hier an der Plaza Prat beginnt die berühmte Avenida Baquedano, in der es noch aussieht wie zur Blütezeit vor hundert Jahren. Die Bürgersteige sind holzgetäfelt…
… viele der Häuser haben eine überdachte Dachterrasse (“Azotea”), damit man sich bei großer Hitze dort aufhalten kann:
Sehr schön ist auch unsere Radtour an der Uferpromenade entlang:
“Miami Beach auf chilenisch”
Durch seine Lage direkt unterhalb der 600 Meter hohen Kordillerenklippe ist Iquique auch ein Eldorado für Gleitschirmflieger. Und hier, an der Paragliderschule “Altazor”, verbringen wir auch mal wieder eine Nacht am Campingplatz (seit zwei Wochen erst der zweite Campingplatz, all die anderen Nächte in der Wüste).
Obwohl hier alles aus Containern erbaut ist, ist es erstaunlich gemütlich. Wir lernen viele andere Reisende und Gleitschirmflieger kennen und genießen die erste heiße Dusche seit längerer Zeit.
Von Iquique fahren wir am Meer entlang nach Süden (die Panamericana führt im Landesinneren auf einer relativ langweiligen Strecke durch die Wüste). Trotz dicken Küstennebels genießen wir die einsame Fahrt am Meer entlang. 140 Kilometer südlich dann das traurige Ende unserer Küstenfahrt: starke Regenfälle haben die Straße komplett verschüttet, und wir müssen den ganzen Weg wieder zurück nach Iquique fahren, um von dort über einen weiten Umweg die Panamericana zu erreichen, die wir vor vier Tagen verlassen hatten. Während der gesamten Rückfahrt verdrehe ich mir den Kopf, da ich nicht glauben kann, dass nicht irgendwo ein Hinweisschild auf die Sperrung steht. Aber nein. Unser Europafeeling verschwindet wieder. Man hätte ja wirklich ein Schild aufstellen können, um einen vorzuwarnen, aber lieber lässt man uns 300 Kilometer Umweg fahren… Jetzt erst sehen wir, dass es jede Menge Bergrutsche gab – “el nino” lässt grüßen!
Aber trotz relativ unspektakulärer Fahrt auf der Panamericana erreichen wir heute, am 8. September, nach vier Tagen Fahrt San Pedro de Atacama.
Auf diesem schönen einsamen Platz im Valle de la Muerte (Tal des Todes) schreiben wir diesen Blog, verbringen die Nacht und freuen uns auf viele schöne Abenteuer in San Pedro de Atacama und Umgebung.
Unsere Strecke von Arica nach San Pedro de Atacama (1.864 km) – Gesamtkilometer bis jetzt: 75.369 km.
Blog erstellt am 08.09.2015 in San Pedro de Atacama, Chile.
3 Kommentare:
Wow, toll!!! Es hat wieder viel Spaß gemacht, Euren neuesten Blog zu lesen. Weiterhin gute Reise und genießt es!
OMG....wie ich Euch beneide! Wir fangen ab Oktober wieder mal an....4 Wochen in Georgia. Konnte keine Florida Reservation fuer den Winter mehr kriegen. Macht nichts...dafuer fahren wir im Fruehjahr auch wieder ein paar Wochen weg und dann 2016/17 in Florida. Den Sommer werden wir dieses Jahr dor verbringen, wo andere Urlaub machen....zu Hause am Atlantischen Ozean. :-)
Liebe Gruesse an Euche beide, Heidi und Peter
OMG - seid Ihr noch in Chile??? Muss den ganzen Tag an Euch denken . . . Hoffentlich seid Ihr safe ?!?!?!
glg von Connie & Hanspeter
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